26.6.2020
Seit November 2019 ist Horst Heldt Sportdirektor beim 1. FC Köln und hat in dieser Zeit schon einiges miterlebt. Für die aktuelle Ausgabe unserers Fanmagazins kölschlive hat sich unser Chefredakteur Werner Mason mit ihm zum Gespräch getroffen.
Wie sieht Dein Arbeitsalltag aktuell aus?
Die Arbeitssituation hat sich für mich schon ein wenig verändert. Vor der Krise hätten wir uns beispielsweise für das Interview persönlich getroffen, jetzt halten wir es als virtuelles Treffen ab. Vielleicht wird das auch in Zukunft ein fester Bestandteil des Miteinanders sein. Trotzdem fehlt mir der persönliche Kontakt und daher möchte ich mich eigentlich nicht daran gewöhnen.
Viel intensiver war für mich die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Auswirkungen die Krise auf den Verein hat, wie bekommt man dies gemanagt? Szenarien wie Abstiegskampf, die kennen wir ja leider und können sie auch managen, aber so eine Krise, die ist nicht nur für mich, sondern für alle im Verein neu. Das hat es so noch nicht gegeben.
Wie geht es Dir denn persönlich in der Corona-Zeit?
Ich bin gesund, meine Familie ist gesund. Aber klar, es ist eine Herausforderung für die ganze Familie. Mein Sohn darf jetzt nach langer Zeit einmal die Woche für eine Stunde in die Schule. Das ist ein Meilenstein. Da ich wie die Mannschaft in einer sehr engen Testung bin, weiß ich alle drei Tage, ob ich mich angesteckt habe oder nicht. Bisher hatte ich immer negative Ergebnisse. Da ich möchte, dass das auch so bleibt, nehme ich gerne verschiedene Dinge in Kauf, um das Ansteckungsrisiko möglichst gering zu halten.
Gibt die engmaschige Testung Sicherheit oder ist es eher ein komisches Gefühl?
Um Fußball spielen zu können, ist es notwendig. Und es gibt Sicherheit. Natürlich sind alle nervös, wenn die Tests anstehen und man auf das Ergebnis wartet. Wir möchten positive Fälle vermeiden, so wie wir es leider am Anfang der Testreihe erlebt haben. Daher gibt uns das engmaschige Testen die Sicherheit, dass alle Beteiligten, auf dem grünen Rasen und drumherum nachweislich nicht infiziert sind. Ansonsten hoffe ich, dass es nicht nur bezogen auf den Fußball, sondern für alle bald wieder in eine andere Richtung geht und wir wieder mehr Normalität erfahren. Es ist einfach ein komisches Gefühl, was einen derzeit ständig begleitet.
Was fällt Dir denn am schwersten in der jetzigen Zeit?
Da gibt es eigentlich nichts, was ich da herausheben möchte. Ich arrangiere mich wie jeder andere damit, versuche mich auch dementsprechend zu verhalten. Aber klar, das Leben ist ein anderes. Ich bin schon jemand, der gerne intensiv arbeitet, aber auch das Leben genießt. Ich gehe beispielsweise gerne ins Kino, um mich abzulenken. Es sind diese einfachen Dinge, die ich vermisse. Da geht es mir wie jedem anderen auch.
Der Fußballprofisport wird gerade kontrovers diskutiert, beispielsweise der Umgang der Liga mit der Corona-Krise oder Ablösesummen. Glaubst du, dass sich am System etwas ändert oder ist das jetzt ein kurzer Peak nach oben und es wird sich wieder komplett dort einreihen, wo es vorher war?
Also, wenn es nur ein kurzfristiger Peak gewesen wäre, dann wäre das mehr als enttäuschend. In Krisen ist es immer sinnvoll, Dinge zu hinterfragen, zu überprüfen und Ansätze zu finden, wie man es anders und besser machen kann. Das gilt für alle Bereiche des Lebens, in allen Wirtschaftszweigen und auch für den Fußball. Um eine positive Veränderung herbeizuführen, müssen alle, denen der Fußball wichtig ist, an einen Tisch kommen. Dazu gehören die Vereine, Politik, Medien, Vertreter der Sponsoren und natürlich die Fans. Nicht nur die aktiven Fanszenen, sondern alle Fans sind hier angesprochen. Und wenn jeder mit dem Vorsatz herangeht, ich bin wichtig, aber nicht wichtiger als alle anderen, dann, glaube ich, hat man eine gute Chance, mit neuen Ideen Veränderung herbeizuführen. Ich will meine Position verteidigen können und dennoch bereit sein, neue Wege zu gehen.
Wie soll der Fußball, sagen wir, in den nächsten 20 Jahren aussehen?
Ich finde, es ist wichtig, über alles nachzudenken, keine Tabus. Und man muss ehrlich und authentisch sein. Ich nenne gerne das Beispiel Salary cap der NFL, das jetzt für den Fußball in Europa diskutiert wird. Eine Gehaltsobergrenze ist auf den einzelnen Verein und innerhalb einer geschlossenen Liga betrachtet vielleicht sinnvoll. Aber was passiert, wenn es nicht zumindest europäisch eingeführt wird? Dann ist der Fußball in Deutschland benachteiligt. Ein Spieler wie Erling Haaland würde nicht in Dortmund spielen und Robert Lewandowski wäre auch schon längst nicht mehr beim FC Bayern München. Die sportliche Schere würde zumindest im europäischen Vergleich weiter auseinandergehen. Ohne solche Stars wird die Bundesliga sportlich nicht mehr so attraktiv sein. Wenn wir dazu bereit sind, dann ist das in Ordnung, dann darf es aber auch keine mediale Auseinandersetzung darüber geben, dass der deutsche Fußball international nicht mehr konkurrenzfähig ist und wir dringend aufholen müssen. Das würde sich dann widersprechen, da müssen wir uns für eine Richtung entscheiden und dann auch mit den Konsequenzen leben. Es darf, wenn wir im Bereich des sportlichen Wettbewerbs ein wenig den Druck zu Gunsten von mehr Nachhaltigkeit rausnehmen, auch kein Trainer nach drei Niederlagen rausgeschrieben, ausgebuht und rausgeworfen werden. Eine sportliche Krise muss dann einfach mit einkalkuliert werden. Wenn da alle mit leben können, dann ist das ein guter Ansatz. Dies soll keine Alibis schaffen, aber es soll einfach zeigen, dass man mit Vorgaben, die man gemeinsam festgelegt, auch gemeinsam leben muss. Und das ist oft nicht der Fall.
Um dies zu erreichen, braucht es aber auch Transparenz und Kommunikation. Wie wollt ihr dies erreichen?
Wir legen sehr viel Wert darauf, transparent und kommunikativ zu sein. Aber es muss auch auf Gegenseitigkeit beruhen. Ich nenne mal als Beispiel das virtuelle Mitgliedertreffen, das wir im April veranstaltet haben. Dort haben rund 1.000 Vereinsmitglieder die Chance genutzt, Fragen an den Vorstand zu stellen. Das sind viel mehr als es bei den Mitgliederstammtischen sind, die wir normalerweise machen. Bei über 111.000 Mitgliedern sind es aber immer noch sehr wenige. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich kritisiere das nicht, niemand muss an so etwas teilnehmen oder es sich ansehen. Aber wer es nicht tut, soll uns dann bitte auch keine mangelnde Kommunikation vorwerfen. Es geht darum, dass wir im kritischen Austausch ehrlich miteinander sein sollten.
Kommen wir mal zur Mannschaft Wie geht sie gerade mit der aktuellen Situation um?
Den Spielern geht es gut und sie machen es herausragend. Sie haben als Fußballprofis natürlich immer ein besonderes Verhältnis zu ihrem Körper. Deswegen fällt es ihnen nicht so schwer, diese Vorgaben, an die sie sich halten müssen, umzusetzen. Generell stelle ich fest, dass sie sehr sensibel mit der Situation umgehen, sich Gedanken gemacht haben und auch über den Tellerrand des Fußballs hinausschauen. Vor allem wollen sie aber gerne Fußball spielen, weil sie den Fußball lieben. Genauso wie die Fans, die jetzt aber leider im Stadion fehlen.
Keine Fans, keine Gesänge. Keine Emotionen auf den Rängen. Macht das was mit der Motivation? Wo liegt da der Hauptunterschied aus deiner Erfahrung raus?
Ich war ein sehr emotionaler Spieler. Für mich war es immer sehr, sehr wichtig, wenn wir zum Warmmachen gegangen sind, dass das Stadion schon gut gefüllt war. Dass es schon eine erste Reaktion der Menschen im Stadion gegeben hat. Das hat bei mir etwas ausgelöst und das wird bei vielen Spielern heute auch noch so sein. Ich denke auch bei unseren Jungs ist es so, dass sie durch die Menschen im Stadion zusätzlich motiviert werden. Uns fehlen die Fans. Aber wir müssen uns nach den politischen Rahmenbedingungen richten, und die sehen eindeutig vor, dass Großveranstaltungen mit Zuschauern bis mindestens 31. August in Deutschland verboten sind. Deshalb brauchten wir einen Plan B, der Bundesligaspiele so möglich macht. Keiner will sich daran gewöhnen, aber es ist richtig und wichtig, dass wir es so machen.
Welche Maßnahmen führt Ihr durch, um psychologisch ein wenig besser zu sein als andere Teams? Habt Ihr einen Psychologen an Bord?
Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir agieren wollen. Dazu haben wir einen Workshop gemacht und verschiedene Fragen aufgearbeitet, die etwas außerhalb der Norm lagen. Natürlich haben wir auch wie andere Vereine im leeren Stadion trainiert, untereinander elf gegen elf gespielt und den ersten Spieltag nach der langen Pause simuliert, angefangen bei der Anfahrt zum Stadion bis hin zu den Ersatzspielern mit Mundschutzmasken auf der leeren Tribüne. Die Herausforderung ist ja, dass jeder einzelne Spieler mit der Situation anders umgeht. Der eine kommt gut damit zurecht, der andere hat damit größere Probleme.
Wir haben versucht, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es Themen oder Situationen gibt, die man nicht beeinflussen kann. Dazu gehört beispielsweise auch die Frage, ob wir mit oder ohne Zuschauer im Stadion spielen. Man sollte sich gerade als Leistungssportler immer auf das fokussieren, was man beeinflussen kann. Das ist das Spiel und die Leistung.
Die Spiele wirken im Fernseher schon sehr steril. Gibt es Überlegungen etwas für die Atmosphäre zu tun und wie könnten diese Maßnahmen aussehen?
Die Überlegungen gab’s im Vorfeld zu Hauf. Mit neuen Techniken und Methoden kann man sicher ein wenig Atmosphäre schaffen. Aber den Vereinen und auch der DFL wurde von vielen Fanorganisationen vermittelt, dass es unpassend wäre, Geisterspiele zu zelebrieren. Das verstehe und teile ich. Ich glaube, wir haben beim 1. FC Köln mit unseren Glücksbringern einen guten Weg gefunden, ein wenig Atmosphäre zu schaffen. Das ist eine gute Idee, mit der man ein Stück weit Verbundenheit hergestellt hat. Aber es wird auch deutlich, dass auch wir grundsätzlich keine Fans von Geisterspielen sind.
Im November 2019 hast Du zusammen mit Markus Gisdol das sportliche Ruder beim FC übernommen. Und dies in einer sehr kritischen Situation. Wie habt ihr es geschafft, das Ruder wieder Richtung Erfolg zu drehen?
Als wir hier angekommen sind, steckte der FC in einem tiefen Loch. Wir beide hatten das Gefühl, da glaubt keiner mehr an eine positive Veränderung. Mit ganz viel Arbeit in allen Bereichen haben wir das gemeinsam gedreht. Unser Vorteil war vielleicht, dass Markus und ich als Spieler, Trainer und Manager solche Krisen schon erlebt haben. So ist es uns gelungen, entscheidende Punkte zu analysieren und an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Gleichzeitig haben wir versucht, Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen. Und wir hatten das Glück der Tüchtigen (lacht). Auch der wieder gewonnene Zusammenhalt mit den Fans, egal ob sie in der Kurve stehen oder auf der Tribüne sitzen, hat einen großen Anteil an der Entwicklung. Aber wir sind noch nicht an unserem Ziel!
Wie hat die Arbeit mit Markus Gisdol geklappt? Wart ihr direkt auf einer Wellenlänge?
Da wir uns kannten, hatten wir schon eine gewisse Vertrauensbasis. Außerdem war es von Vorteil, dass wir am Anfang im selben Hotel wohnten. So konnten wir abends den Tag Revue passieren lassen. Wir haben viel gesprochen: Über einzelne Trainingsinhalte, über Spieler, wir haben das Training immer wieder hinterfragt, die Spiele immer wieder analysiert, die einzelnen Spieler angeschaut, ihre Mimik und Gestik, wir haben Strategien entwickelt für die Mannschaft, aber auch für den Einzelnen, um ihn aus der persönlichen Krise heraus zu holen. Es hat viel gebracht, dass wir viel Zeit miteinander verbracht haben. Das war sicher ein Schlüssel. Und: Wir haben dieselbe Idee von einer Fußball-Philosophie. Das war wichtig.
Wie war die anfängliche Zusammenarbeit mit den anderen Bereichen, Gremien und Funktionsträgern im Verein und wie hat sich das weiter entwickelt?
Ich habe am Geißbockheim sofort gespürt: Da haben ganz viele Menschen richtig Bock, den Turnaround zu schaffen. Die geben alles für ihren Club. Ich habe ein unfassbares Gemeinschaftsgefühl gespürt. Die Zusammenarbeit mit dem Vorstand, der seit seiner Wahl mit Trainer- und Managerwechsel, mit Abstiegskampf und der größten Krise des deutschen Fußballs schon einiges erlebt hat, war von Anfang an sehr vertrauensvoll und sehr intensiv. Dies gilt im Übrigen auch für alle anderen Gremien. Auch die gemeinsame Arbeit und Abstimmung mit Alex Wehrle, der jeden Tag rund um die Uhr Gas gibt, ist wirklich herausragend. Er gibt damit ein Tempo für alle anderen vor und deswegen kommen wir auch gut durch die Krise, weil wir mit ihm jemanden haben, der voranmarschiert. Das ist wirklich top.
Du scheinst beim FC angekommen zu sein, dem Verein, dem Du schon als Spieler angehörtest. Ist das sowas wie eine Liebes-Hochzeit?
Ich kann es nur so beschreiben. Es war mein größter Traum, noch einmal für diesen Club verantwortlich zu arbeiten. Ich war schon angekommen, bevor ich überhaupt da war. Jetzt habe ich die Chance bekommen und ich möchte diese Chance nutzen. Mein Ziel ist, nachhaltig zu arbeiten und den FC weiterzuentwickeln.
Um nochmal auf das Sportliche zu kommen. War es von Beginn an der Plan, auf erfahrene Spieler zu setzen und parallel jüngere Talente einzubauen oder hat sich dies einfach so ergeben?
Es war kein Zufall, aber manches hat sich auch so ergeben. Wenn man zu einem Fußballverein kommt, der in einer Krise steckt, macht man eine grundsätzliche Analyse in allen Bereichen. Wie hat die Mannschaft in der Vergangenheit gespielt, was sind ihre Stärken, was sind ihre Schwächen, wie ist die Altersstruktur, wie steht es um die Fitness, usw. Dann brauchst du die Spiele, um zu sehen, ob sich die Eindrücke aus dem Training bewahrheiten oder nicht. Und danach entwickelst du Maßnahmen und einen Plan, wie es noch besser funktionieren könnte. Aber nur mit 20-Jährigen werden wir die Liga nicht halten. Ebenso wenig mit ausschließlich erfahrenen Spielern. Wir sind davon überzeugt, dass es ein guter Mix sein muss. Wichtig ist das Leistungsprinzip. Der 18-Jährige muss sich genauso beweisen wie der 28-Jährige. Dafür ist eine offene und ehrliche Kommunikation und Verlässlichkeit auf beiden Seiten, dem Trainerteam und den Spielern, erforderlich.
Natürlich gehört dazu auch ein gutes Nachwuchsleistungszentrum. Der FC hat derzeit viele Talente, das ist ja sensationell. Wie erklärst Du Dir das und wie ist da der Status?
Wir haben herausragende Talente und wir haben herausragend viele Talente. Das ist kein Zufall, weil wir viele Sachen richtig machen, ob in der Ausbildung oder in der Begleitung außerhalb des grünen Rasens. Und wir haben richtig fähige, gute motivierte Mitarbeiter, die bereit sind, junge Menschen auszubilden und weiterzuentwickeln. All das ist aber schon vor unserer Zeit da gewesen. Markus und ich profitieren nun davon und lassen junge Spieler auch in der 1. Mannschaft spielen. Die wichtigere Herausforderung ist: Können wir dieses Niveau halten? Eine herausragende Ausbildung muss auch in Zukunft fester Bestandteil des 1. FC Köln sein. Hierfür müssen wir dann doch eine Menge verändern, vor allem baulich. In der Ausbildung bewegen wir uns auf Champions-League-Niveau, die Infrastruktur ist eher Kreisklasse. Auf Dauer ist das keine Kombination, die ausreicht. Denn unsere Konkurrenten haben bessere Voraussetzungen.
Wo liegt der 1. FC Köln am Ende der Saison, vorausgesetzt, die Saison wird zu Ende gespielt? Was ist Deine Prognose?
Wir sind ein Aufsteiger, der demütig bleiben sollte. Wir müssen erst mal unser Ziel Nichtabstieg erreichen und dem alles unterordnen. Wenn wir das geschafft haben und andere Ziele möglich sind, dann sollten wir sie auch ergreifen. Hier gilt es dann mutig zu sein, offensiv zu kommunizieren, was man will und alles mitnehmen, was man mitnehmen kann.
Ich bin auch ein Mensch, der mit Bildern im Kopf arbeitet und ich höre die Geschichten von London, von Belgrad oder dem Heimspiel gegen Arsenal und ärgere mich, dass ich nicht dabei gewesen bin. Aber ich bleibe dabei: Wir müssen demütig bleiben und immer daran denken, wo wir herkommen.