26.3.2020
Weiter geht es mit unserer Reise durch die kölschlive-Archive. Für die Ausgabe im September 2016 traf sich unser Autor Philipp Tekampe mit FC-Ikone Wolfgang Weber zum Gespräch. Herausgekommen ist ein Interview über Wembley, Rotterdam und natürlich den 1. FC Köln.
Die erste Frage ist noch nicht formuliert, da sind wir schon beim "Du". Sehr angenehm, aber gar nicht so einfach, zu einer Legende plötzlich Wolfgang zu sagen. Gleichzeitig sagt es viel über den Charakter des ehemaligen FC-Helden aus.
Wolfgang, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für das Interview genommen hast. In diesem Jahr jährt sich das Finale der Weltmeisterschaft 1966 zum 50. Mal. Welche Erinnerungen ruft das Finale in Wembley in dir hervor?
Ich habe in den letzten Tagen und Wochen natürlich mehrfach über dieses Spiel philosophieren können. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht in der Favoritenrolle. Hier waren es andere Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Brasilien. Wir konnten daher mit aller Ruhe in das Turnier gehen, wobei im ersten Spiel mit einem 5:0 gegen die Schweiz schon der Knoten geplatzt ist.
Für die jeweilige Mannschaft war es zudem noch ein Handicap, dass keine Auswechslungen vorgenommen werden konnten und man daher auf einen guten Gesundheitsstand der Spieler angewiesen war. Wir haben es im Spiel gegen Argentinien gemerkt, wo ein Gegenspieler mir mit beiden Füßen voran in die Beine gesprungen ist, ich aber dennoch weiterspielen musste.
Daneben gab es nur 16 Mannschaften, die sich für das Turnier qualifizieren konnten, wodurch das Niveau insgesamt sehr hoch war. Wir waren zu dieser Zeit auch noch nicht sehr professionell aufgestellt, wobei es anderen Ländern schon Profitum gegeben hat. Zu dieser Zeit verdiente jeder Spieler 1200 Mark. Davon konnte man keine großen Sprünge machen. Die Engländer und Südamerikaner waren uns ins dieser Hinsicht weit voraus.
Uruguay hatte uns im Viertelfinale den Gefallen getan, sich selbst durch zwei Platzverweise zu dezimieren und wir konnten 4:0 gewinnen. Im Halbfinale spielten wir dann gegen die Sowjetunion und konnten uns mit 2:1 durchsetzen. Danach kam das Finale. Um es kurz zu machen. Ich hätte gerne darauf verzichtet, ein Tor im Finale zu schießen, wenn wir es stattdessen gewonnen hätten.
Was das sogenannte Wembleytor verhinderte. Du hast gesehen, dass sich der Ball nicht hinter der Linie befand. Wie konntest Du da in Bezug auf den Schiedsrichter so ruhig bleiben?
Die Engländer haben ja beispielsweise auch bei der WM 2010 nicht rebelliert, als der Ball eindeutig hinter der Linie war. Sehen kann man sowas ja auch nur, wenn man auf der Torauslinie steht. Genauso stand der Linienrichter damals zu weit im Feld und konnte es nicht sehen. Im Gegensatz zu mir. Ich war deshalb felsenfest davon überzeugt, dass der Ball nie und nimmer im Tor war. Aber der Schiedsrichter hatte eben falsch entschieden. Und das kann man eh nicht ändern.
Hast Du noch regelmäßig Kontakt zu Deinen damaligen Mitspielern und ist das „Tor“ von Wembley heute noch ein Thema bei Euch?
Anschließend wurde es nicht mehr sehr thematisiert. Aber es kam schon mal zur Sprache, wenn Spiele gegen die englische Nationalmannschaft anstanden. Und natürlich beim Besuch des neuen Wembleystadions. Da gibt es tatsächlich zwei Türen in den Innenkabinen mit den Überschriften „Yes“ und „No“, wobei von den Besuchern verlangt wurde sich zu entscheiden, ob der Ball drinnen war oder nicht. Da bin ich selbstverständlich durch die Tür mit „No“ gelaufen (lacht).
Die Weltmeisterschaft 1966 in England war nicht Dein einziges großes Fußballturnier. Wie ist das Gefühl bei einem so wichtigen Spiel auf dem Platz zu stehen?
Man sagt es immer so einfach, aber natürlich ist man immer nervlich unter enormen Druck. Das Publikum und alles andere muss man ausblenden, ansonsten schafft man es nervlich nicht. Wir hatten es damals sehr schwer, weil 90.000 Engländern im Stadion waren und nur 3.000 Deutsche, die wir in dem ganzen Pulk nicht hören konnten, wodurch es nochmal schwerer wurde. Loben muss ich nochmal die deutschen Fans in England, welche sich damals toll präsentiert haben, gerade in einer Zeit, wo der Zweite Weltkrieg nicht lange vorbei und das Verhältnis zwischen Deutschland und England noch nicht so gut war. Spieler wie Bernd Trautmann hatten aber eine ungeheure Popularität in England und er war zu dieser Zeit unser Protegé der Nationalmannschaft. Die Engländer haben ihn sehr respektiert und seine Leistungen anerkannt. Zumindest in Bezug auf die Völkerverständigung waren wir also 1966 erfolgreich.
Du wärst ja nie mit der Queen in Kontakt getreten, wenn Du keinen Fußball gespielt hättest. War es damals schon so, dass der Fußball Zugang zu „höheren“ Kreisen ermöglicht hat?
Die Queen war da, weil sie da sein musste. In England ist Fußball Volkssport, aber die höhere Gehaltsklasse spielt Cricket und Polo. Ich denke nicht, dass im Königshaus Fußball gespielt wird, daher war sie nicht als Fan, sondern als Repräsentantin da. So konnte ich eben auch die Hand der Queen schütteln. Ich habe natürlich nicht zurückgezogen (lacht). Als ich die Hand der Queen geschüttelt habe war meine Mutter natürlich sehr stolz. Vielleicht am stolzesten in meiner Fußballkarriere. Nach dem Handschlag war ich übrigens so verwirrt, dass ich beim Treppenabgang hingefallen bin. Ich glaube davon muss es heute noch Fernsehbilder geben.
Wie wir hörten, hast Du sogar einen eigenen FanClub in Hong Kong, der sich in Bezug auf Deine Teilnahme an der WM 1966 gegründet hat.
Ja, ist das nicht irre? Seit ein paar Jahren habe ich einen Fanclub in Hong Kong, wobei mich regelmäßig ein paar Jugendliche anschreiben, um Schals oder Autogramme zu bekommen. Die Kinder haben mir jedes Mal zu einem Geburtstag etwas ganz Tolles gebastelt, was ich selbst auch sehr rührend fand. Die Kinder sind auf mich gekommen, weil sie meinen Namen mal gegoogelt und gelesen haben, dass ich ein Tor gegen England geschossen habe. Dadurch, dass Hong Kong englische Kronkolonie war, fanden die Jungs das scheinbar interessant. Ob es letztendlich so stimmt, weiß ich selbst nicht genau, aber wenn sie alt genug sind, lade ich sie nach Köln ein.
Wir sitzen heute im Geißbockheim des 1. FC Köln. Du warst selbst jahrelang für den FC aktiv. Was empfindest Du heute, wenn Du die Franz-Kremer-Alle zum Geißbockheim fährst?
Ich bin hier letztendlich jeden Tag von Porz aus hingefahren, wobei man früher in 15 Minuten hier war, heute braucht man eine gute halbe Stunde durch den Verkehr. Mir kommen jedes Mal Gedanken hoch, wie gerne ich hierhergefahren bin, obwohl dies auch meist wegen des Trainings war. Zum Beispiel unter Rolf Herings an einem Dienstagnachmittag. Das war schon sehr happig, wie sehr er uns hier durch die Gegend gescheucht hat.
Die Vergangenheit holt mich hier immer ein, zum Beispiel habe ich heute gesehen, dass der Haupttrainingsplatz von uns damals heute ein wahrer Rasenteppich ist. Wenn der Rasen damals schon so schön gewesen wäre hätten wir kein einziges Mal verloren (lacht). Über das Jahr gesehen bin ich bestimmt zehn bis zwanzigmal hier.
Wie hast Du die jüngere Entwicklung des Vereins empfungen?
Es ist natürlich ein Gemeinschaftswerk von allen. Wenn man was Positives geschafft hat, muss ja erstmal kein Quertreiber dabei gewesen sein. Dabei muss man allen Leuten, die an der richtigen Stelle sitzen, ein großes Lob aussprechen.
1998 ist für mich eine Welt zusammengebrochen, als wir abgestiegen sind. Dass der 1. FC Köln einmal aus der Bundeliga absteigen kann, war außerhalb meiner Vorstellungskraft. Aber man muss sich damit arrangieren und wir sind ja noch ein paar Mal auf und abgestiegen. Diese Zeit hat natürlich an den Nerven gezerrt, aber man muss dies auch realistisch sehen. In den meisten Fällen hatten wir auch keine wettbewerbsfähige Mannschaft, wobei natürlich da auch die Jungs ihr Bestes gegeben haben.
Jetzt habe ich das Gefühl, dass eine Mannschaft auf dem Feld steht, die Charakter bewiesen hat und zusammenhält. Man muss immer für die Mannschaft sein Bestes geben und seine persönlichen Empfindlichkeiten zurückstellen. Ich glaube dieser Geist ist mittlerweile wieder spürbar. Gewinnen kann nun mal keiner alleine… das war jetzt aber ein Satz… (lacht). Und verlieren kann nun mal auch keiner alleine... Moment ich habe noch fünf Euro fürs Phrasenschwein! (lacht).
Es scheint ja auch so, dass Horn und Hector bleiben werden, was mich sehr freut. Schade ist, dass Gerhard weggeht. Ein Erfolg der 60er Jahre wird die Nachwuchsförderung aus der engeren Umgebung gewesen sein. Ich würde mich sehr freuen, wenn Spieler wie Hartel, die aus dem eigenen Nachwuchsbereich hochgekommen sind, mehr gefördert werden. Das zeigt letztendlich, dass hier eine gute Nachwuchsförderung geleistet wird. Natürlich kann auch nicht jeder Nachwuchsspieler deutscher Meister werden oder in die Bundesliga kommen. Bei der einen oder anderen Verpflichtung habe ich mich aber gefragt, ob es nicht einen adäquaten Ersatz aus den eigenen Reihen gibt.
Hast Du einen Tipp für junge Spieler?
Ja. Es darf nie ums Geld gehen! Ich habe viele Entwicklungen von jungen Menschen zum Profidasein erlebt. Und viele, die daran gescheitert sind.
Als Musterbeispiel habe ich mal einen Spieler mit zwölf Jahren entdeckt, den ich an den FC weiterempfohlen habe. Er besaß überragende Spielerfähigkeiten und wurde schnell zum Juniorennationalspieler. Als er dann älter wurde, erwartete ich genau wie viele andere im Verein, dass er es auch in den Profibereich schaffen würde. Doch das geschah leider nicht. Ich glaube, dass es hierbei am Vater lag, was natürlich Spekulation ist, jedoch spielte schon hier Geld eine zu große Rolle, da der Vater Angst hatte, dass sein Sohn zu wenig Geld verdienen würde. An diesem Druck ist letztlich die Karriere gescheitert.
Wie weit kann der FC in den nächsten Jahren kommen?
Nach dem Spiel in Mainz habe ich tatsächlich auf die Tabelle geschaut, ob der FC noch ins internationale Geschäft kommen kann. Ein Beispiel hierfür ist Augsburg, wobei der Verein wahrscheinlich noch finanzkräftiger sein wird. Uns Kölnern sagt man wahrscheinlich nach, das wir größenwahnsinnig sind, wobei ich es besser finde, wenn man sich die Ziele höher steckt. Erstmal ist natürlich wichtig, dass der Verein die erste Bundesliga hält und irgendwann wird der FC auch mal überraschen können und sich für den internationalen Wettbewerb qualifizieren. Warum sollen wir irgendwann auch nicht mal eine Rolle spielen wie Hertha BSC in der letzten Saison. Was spricht dagegen? Ich habe nichts dagegen (lacht). Beim nächsten Auswärtsspiel des FCs im internationalen Wettbewerb des FCs bin ich sicherlich dabei.
Im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister von 1965 gegen den FC Liverpool hast Du Dir das Wadenbein gebrochen und trotzdem durchgespielt. Nicht nur aus diesem Grund ist das Spiel legendär. Beim „Münzwurf von Rotterdam“ wurde das Spiel letztendlich zugunsten des FC Liverpool entschieden und der FC war ausgeschieden. Eine Regelung, die aus heutiger Sicht nicht mehr vorstellbar wäre.
Ich habe während des Spiels einfach weitergespielt, weil man zu dieser Zeit noch nicht auswechseln konnte und ich die Jungs auch nicht im Stich lassen wollte. So musste ich auch in der zweiten Halbzeit und die Verlängerung weiterspielen. So spielte ich 75 Minuten mit gebrochenem Wadenbein auf der rechten Seite, wobei ich noch zwei Möglichkeiten hatte, ein Tor zu schießen. Das hatte so aber nicht mehr geklappt.
Wir hatten in der Spielzeit noch ein reguläres Tor, welches abgepfiffen wurde. Das ärgert mich heute noch am meisten. In allen Spielen können die Mannschaften stolz auf sich sein. In Rotterdam hat der FC eineinviertel Stunden zu zehnt gegen einen europäische Spitzenmannschaft gespielt und ein 2:2 gehalten. Darauf konnten wir verdammt stolz sein. Und nach so einer tollen Leistung wird dann ein so wichtiges Spiel durch eine Münze erscheinen.
Als es zu dem Münzwurf kam, saß ich am Mittelkreis mit gebrochenem Wadenbein und wollte aufgrund meiner Schmerzen schnell in die Kabine. Erst später habe ich erfahren, dass beim ersten Mal die Münze im Morast stecken blieb. Das muss man sich mal vorstellen, dass sowas damals möglich war. Eine Münze entscheidet über das Weiterkommen! Auch aufgrund dieser Tatsache haben die Funktionäre später den Münzwurf abgeschafft und durch das Elfmeterschießen ersetzt. Im Elfmeterschießen kann man zumindest Aussagen treffen, welche Mannschaft mehr Ausdauer hat und sicherer im Schießen ist. Das ist ein Kriterium, das mit Leistung zu tun hat und damit viel fairer ist. Letzten Endes hatte das Spiel also auch etwas Positives.
Du bist mit sechs Jahren aus Pommern nach Köln gekommen. Hast Du Dich in Köln schnell heimisch gefühlt?
Ich war sechs Jahre alt, als ich von Pommern nach Köln gekommen bin. Mein Vater wurde mit seinem Regiment im Zweiten Weltkrieg nach Frankreich geschickt und machte auf dem Weg dorthin schon 1942 ein Foto vor dem Kölner Dom, als ob da schon ein Draht zu Köln bestanden hatte. 1944 wurde ich geboren und 1950 bin ich im Zuge der Familienzusammenführung ins Rheinland gekommen. Es ist natürlich schon ein gewaltiger Unterschied zu der heutigen Situation, weil ich selbst Deutsch gesprochen habe. Zwar wurde ich anfangs als Zugezogener wahrgenommen, bin aber über die Jahre zu einem echten Kölner geworden. Oder wie die Bläck Föös es so schön besungen haben
Su simmer all he hinjekumme,
mir sprechen hück all dieselve Sproch.
Mir han dodurch su vill jewonne.
Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing.
Dat es jet ,wo mer stolz drop sin.
Schöner kann man es nicht zusammenfassen.
In der Tat. Ein wunderschöner Abschluss und herzlichen Dank für das Interview.