Der FC nach 25 Jahren wieder in Europa

14.9.2018

Sina Knobloch und fans1991 waren natürlich dabei und erinnern an die Nacht von London

Also, ich bin ja Leverkusen Fan…“ (Stirnrunzeln meinerseits), „…aber das wird sicher ein unglaubliches Erlebnis für euch!“ Wie Recht der Bankangestellte doch hatte, der mir die paar Pfund aushändigte. Eigentlich überflüssig, aber ich konnte immer noch nicht glauben, dass wir in wenigen Tagen wirklich nach London fahren würden. In der Hoffnung, die ausländische Währung würde dabei helfen das zu realisieren (unerfüllte Hoffnung), verließ ich also wieder die Bank und empfand nun mittlerweile doch wenigstens einen Hauch von Vorfreude.

Der unvergessliche 20. Mai war bereits Monate her, wir hatten der Auslosung ungeduldig und scheinbar ewig lange entgegengefiebert – und plötzlich überschlugen sich die Ereignisse: Flüge und Hotels wurden gebucht, Sehenswürdigkeiten recherchiert, Erwartungen ausgetauscht und ohne Vorwarnung war der Morgen des 14. September gekommen und niemand wusste so richtig, wie das so schnell passieren konnte. Frühmorgens in den Bus zu steigen war ja nun keine Seltenheit und doch war die Stimmung anders als sonst. Es war beinahe still, die Anspannung war fast greifbar. Während wir über inländische Autobahnen rollten, fühlte sich dann alles irgendwie doch normal an. Erst in dem Moment, als sich die Sprache der Autobahnschilder veränderte, wurde dann aber wirklich jedem klar: Heute ist etwas ganz Besonderes.

Während wir am so berühmten Atomium (wer kennt es nicht?!) in Belgien vorbeirauschten wachte auch der Bus langsam auf: Es wurde diskutiert, Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche ausgetauscht. Als wir endlich (!) an der Fähre ankamen erwartete uns scheußliches Wetter: Kalt, grau, windig (um es mal freundlich auszudrücken). In dem Moment, als sich die Fähre in Bewegung setzte, verschlug es mir für einen Moment die Sprache. ES WAR ALSO WIRKLICH WAHR. WIR WAREN WIRKLICH AUF DEM WEG NACH ENGLAND.

Die Überfahrt verbrachten wir aufgekratzt und bester Laune an Deck des Schiffes - und wurden für unsere Hartnäckigkeit belohnt. Als wir die blendend weißen Felsen der englischen Küste erreichten waren wir umgeben von tiefblauem Meer und strahlendem Sonnenschein. Und in diesem Moment musste nicht nur ich kurz schlucken. Da die Vorfreude nun immer weiter stieg hieß es schleunigst ab in den Bus, durch die Kontrolle und ab auf die Autobahn, so schnell es ging! Aufgrund des hohen Anreiseaufkommens hatten wir erst eine sehr späte Fähre bekommen – und zahlten im Feierabendverkehr rund um London die Quittung dafür: Während die Stimmung anhand der Ungeduld immer weiter sank, erreichten wir den Tiefpunkt, als wir die ersten Videos vom Fanmarsch zu sehen bekamen. Bilder, die man nicht in Worte fassen kann, so beeindruckend waren sie. Während meine Stimmung ein bisschen angespannt war schafften wir es letztendlich doch noch zum Emirates und wurden so kitschig empfangen, dass es kein Drehbuch hätte besser schreiben können.

Als ich das Emirates das erste Mal erblickte spannte sich ein riesiger Regenbogen über das Szenario – überall rot-weiß gekleidete FC-Fans, die singend und lachend durch die verregneten Straßen rund ums Stadion liefen. Als wir endlich penibel genau in unseren Parkplatz eingewiesen worden waren gab es kein Halten mehr: Schal um den Hals, raus aus dem Bus, ab ans Stadion – wo genau mussten wir überhaupt hin? Mehrmals die Richtung geändert, die Hälfte der Leute verloren, den Weg erfragt, letztendlich den Eingang endlich gefunden. Und dort standen wir dann. Eine Ewigkeit. So schnell gerät man vom Himmel in die Hölle und wieder zurück. Während alle Eingänge bis auf weiteres dichtgemacht wurden, wuchs die Masse hinter uns immer weiter an. Die Polizei, die sich zwar sehr freundlich verhielt, war leider nicht in der Lage, relevante Infos so zu streuen, dass sie jeder mitbekam. Und so drückte die Menschenmenge hinter uns immer weiter, schob uns immer enger zusammen und drängte uns immer weiter in die Nähe der Absperrungen, die Luft wurde Minute um Minute ein bisschen dünner. Die Ungeduld stieg immer weiter, die Masse hinter uns schien unberechenbar und löste bei nicht wenigen eine gewisse Nervosität aus, während wir wie Affen im Käfig von Stadionbesuchern über dem Eingang durch eine Glasscheibe beglotzt wurden. Der Anpfiff wurde bereits um eine Stunde verschoben, die Stimmung blieb jedoch überwiegend ruhig, Gesänge wurden angestimmt und als die Situation doch zu eskalieren drohte war es die aktive Fanszene, die sich bereits im Stadion befand und von dort aus die Leute vor dem Stadion zur Ruhe und Einsicht aufforderte – als der Einlass fortgesetzt wurde begaben sich alle so ruhig und geduldig wie möglich ins Stadion. Ab durch die Kartenkontrolle, durch den beengten Eingang, durch die Masse hindurch – und erst mal tief Luft holen. Viel Zeit zum Durchatmen blieb aber nicht: Wir waren da, wir wollten in den Gästeblock!

Es ist immer ein ganz besonderes Gefühl, einen Gästeblock das erste Mal zu betreten. Wie sieht das Stadion von innen aus, welche Perspektive nimmt man ein, wie viel Platz bietet er, wie ist die Akustik? Doch dieser Moment, in dem ich den Gästeblock des Emirates das erste Mal betrat, das Flutlicht mich blendete und die Gesänge mir das erste Mal eine Gänsehaut über den Körper jagten ist mit keinem Wort der Welt zu beschreiben. Und dieses Gefühl sollte sich an diesem Abend noch mehrfach wiederholen. Das Stadion füllte sich zusehends mit Kölnern und war schon vor Anpfiff akustisch zweifelsohne in Kölner Hand. Und endlich, endlich erklang der so lang ersehnte Anpfiff.

Die Stimmung war elektrisierend, das Stadion bebte, niemand stand still! Die Euphorie schien bereits nicht mehr zu toppen, die Mannschaft lieferte phantastische Anfangsminuten; da kam Córdoba in der 9. Minute unerwartet an den Ball, jeder konnte sehen: Der Torwart steht zu weit vor dem Tor. Und 10.000 Stimmen raunten: „Schieß!“ Was folgte ist Geschichte: Der FC ging tatsächlich im imposanten Emirates nach 25 Jahren Abwesenheit in der Europa League in Führung. Und alle Dämme brachen. Menschen schrien ihr Glück hinaus, wildfremde lagen sich in der Armen, Tränen flossen, ich drehte mich im Jubelsturm so oft um mich selbst, dass ich die Orientierung verlor, die Lautstärke war mit nichts zu vergleichen, der ganze Block bebte. In dieser Minute hätte man die Europapokalsaison bereits beenden können und ich hätte das Gefühl gehabt, alles Wichtige bereits erlebt zu haben. Die Mannschaft bot ein überragendes Spiel, setzte sich gegen den so klaren Favoriten in Szene und bewies, warum sie die Teilnahme am Europapokal, trotz glücklicher Umstände, verdient gehabt hatte. Gedämpft wurde die Stimmung kurzzeitig vom Ausfall von Jonas Hector – da nicht klar war, wie schlimm seine Verletzung sein würde, fokussierte sich aber schnell wieder alles aufs Feiern. Wir waren hier, wir waren wirklich hier, und nichts und niemand konnte uns diesen Abend wieder nehmen!

So blieben wir auch nach Abpfiff noch lange im Block, im mittlerweile sonst leeren Stadion, um ununterbrochen den Europapokal zu besingen. Trotz der Niederlage, trotz der Hektik rund um den Einlass, trotz der (verhältnismäßig sparsamen) Negativpresse der nächsten Tage: Diese Nacht war magisch. Und sie verpasst mir auch heute noch eine Gänsehaut, wenn ich an sie zurückdenke. Sie war ein Beispiel dafür, wie Fankultur gelebt werden kann, wie mitreißend ein Fußballspiel sein kann, wie leidenschaftlich und bedingungslos die Kölner ihren Verein lieben.

Hier findet Ihr noch einige Bilder zu unserem ersten Auftritt im Europapokal nach 25 Jahren.