30.7.2016
Zum heutigen 50-jährigen Jubiläum des Weltmeisterschaftsfinales von 1966 gab uns die FC-Legende Wolfgang Weber ein exklusives Interview, bei dem er Fragen über das „Tor“ von Wembley, seinem Fanclub in Hong Kong sowie der Europameisterschaft 2016 beantwortete.
Herr Weber, vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit genommen haben.
Die erste Frage ist noch nicht formuliert, da sind wir schon beim Du. Sehr angenehm, aber gar nicht so einfach, zu einer Legende plötzlich Wolfgang zu sagen. Gleichzeitig sagt es viel über den Charakter des ehemaligen FC-Helden aus.
In diesem Jahr nähert sich das Finale der Weltmeisterschaft 1966 zum 50. Mal.
Welche Erinnerungen ruft das Finale in Wembley in Dir hervor?
Ich habe in den letzten Tagen und Wochen natürlich mehrfach über dieses Spiel philosophieren können. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht in der Favoritenrolle. Hier waren es andere Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Brasilien. Wir konnten daher mit aller Ruhe in das Turnier gehen, wobei im ersten Spiel mit einem 5:0 gegen die Schweiz schon der Knoten geplatzt ist. Für die jeweilige Mannschaft war es zudem noch ein Handicap, dass keine Auswechslungen vorgenommen werden konnten und man daher auf einen guten Gesundheitsstand der Spieler angewiesen war.
Wir haben es im Spiel gegen Argentinien gemerkt, wo ein Gegenspieler mir mit beiden Füßen voran in die Beine gesprungen ist, ich aber dennoch weiterspielen musste. Daneben gab es 16 Mannschaften, die sich für das Turnier qualifizieren konnten, wodurch das Niveau insgesamt sehr hoch war. Wir waren zu dieser Zeit auch noch nicht sehr professionell aufgestellt, wobei es in anderen Ländern schon Profitum gegeben hat. Zu dieser Zeit verdiente jeder Spieler 1200 Mark. Davon konnte man keine großen Sprünge machen. Die Engländer und Südamerikaner waren uns ins der Hinsicht weit voraus. Uruguay hatte uns im Viertelfinale den Gefallen getan, sich selbst durch zwei Platzverweise zu dezimieren und wir konnten 4:0 gewinnen. Im Halbfinale spielten wir dann gegen die Sowjetunion und konnten uns mit 2:1 durchsetzen.
Danach kam das Finale. Um es kurz zu machen. Ich hätte gerne darauf verzichtet, ein Tor im Finale zu schießen, wenn wir es stattdessen gewonnen hätten.
Was das sogenannte Wembleytor verhinderte.
Du hast gesehen, dass sich der Ball nicht hinter der Linie befand. Wie konntest Du da in Bezug auf den Schiedsrichter so ruhig bleiben?
Die Engländer haben ja beispielsweise auch bei der WM 2010 nicht rebelliert, als der Ball eindeutig hinter der Linie war. Sehen kann man sowas ja auch nur, wenn man auf der Tor Außenlinie steht. Genauso stand der Linienrichter damals zu weit im Feld und konnte es nicht sehen.
Im Gegensatz zu mir. Ich war deshalb felsenfest davon überzeugt, dass der Ball nie und nimmer im Tor war. Aber der Schiedsrichter hatte eben falsch entschieden. Und das kann man eh nicht ändern.
Hast Du noch regelmäßig Kontakt zu Deinen damaligen Mitspielern und ist das „Tor“ von Wembley heute noch ein Thema?
Anschließend wurde es nicht mehr sehr thematisiert. Aber es kam schon mal zur Sprache, wenn Spiele gegen die englische Nationalmannschaft anstanden. Und natürlich beim Besuch des neuen Wembleystadions. Da gibt es tatsächlich zwei Türen in den Innenkabinen mit den Überschriften „Yes“ und „No“, wobei von den Besuchern verlangt wurde sich zu entscheiden, ob der Ball drinnen war oder nicht.
Da bin ich selbstverständlich durch die Tür mit „No“ gelaufen (lacht).
Die Weltmeisterschaft 1966 in England war nicht Dein einziges großes Fußball-Turnier. Wie ist das Gefühl, bei einem so wichtigen Spiel auf dem Platz zu stehen?
Man sagt es immer so einfach, aber natürlich ist man immer nervlich unter enormen Druck. Das Publikum und alles andere muss man ausblenden, ansonsten schafft man es nervlich nicht. Wir hatten es damals sehr schwer, weil 90.000 Engländer im Stadion waren und nur 3.000 Deutsche, die wir in dem ganzen Pulk nicht hören konnten, wodurch es nochmal schwerer wurde. Loben muss ich nochmal die deutschen Fans in England, welche sich damals toll präsentiert haben, gerade in einer Zeit, wo der Zweite Weltkrieg nicht lange vorbei und das Verhältnis zwischen Deutschland und England noch nicht so gut war. Spieler wie Bernd Trautmann hatten aber eine ungeheure Popularität in England und er war zu dieser Zeit unser Protegé der Nationalmannschaft. Die Engländer haben ihn sehr respektiert und seine Leistungen anerkannt. Zumindest in Bezug auf die Völkerverständigung waren wir also 1966 erfolgreich.
Du wärst ja nie mit der Queen in Kontakt getreten, wenn Du kein Fußball gespielt hättest… war es damals auch schon so, dass der Fußball Zugang zu „höheren“ Kreisen ermöglichte?
Die Queen war da, weil sie da sein musste. In England ist Fußball Volkssport, aber die höhere Gehaltsklasse spielt Cricket und Polo. Ich denke nicht, dass im Königshaus Fußball gespielt wird, daher war sie nicht als Fan, sondern als Repräsentantin da. So konnte ich eben auch die Hand der Queen schütteln. Ich habe natürlich nicht zurückgezogen (lacht). Als ich die Hand der Queen geschüttelt habe, war meine Mutter natürlich sehr stolz. Vielleicht am stolzesten in meiner Fußballkarriere.
Nach dem Handschlag war ich übrigens so verwirrt, dass ich beim Treppenabgang hingefallen bin. Ich glaube davon muss es heute noch Fernsehbilder geben.
Wie wir hörten hast Du sogar einen eigenen Fanclub in Hong Kong, der sich in Bezug auf deine Teilnahme an der WM 1966 gegründet hat?
Ja, ist das nicht irre? Seit ein paar Jahren habe ich einen Fanclub in Hong Kong, wobei mich regelmäßig ein paar Jugendliche anschreiben, um Schals oder Autogramme zu bekommen. Die Kinder haben mir jedes Mal zu einem Geburtstag etwas ganz Tolles gebastelt, was ich selbst auch sehr rührend fand. Die Kinder sind auf mich gekommen, weil sie meinen Namen mal gegoogelt und gelesen haben, dass ich ein Tor gegen England geschossen habe. Dadurch, dass Hong Kong englische Kronkolonie war, fanden die Jungs das scheinbar interessant. Ob es letztendlich so stimmt, weiß ich selbst nicht genau, aber wenn sie alt genug sind, lade ich sie nach Köln ein.
Wie hast Du die diesjährige Europameisterschaft 2016 verfolgt?
Traditionell mit einem Freund von mir, mit dem ich seit Jahren die Spiele anschaue. Wir hatten ja viele Spiele dabei, die wir souverän gestalten konnten, aber natürlich war es schade, dass wir gegen Frankreich ausgeschieden sind. Es gewinnt aber natürlich nicht immer nur die Mannschaft, die es verdient hätte. So ist es eben im Fußball.
Bist Du trotzdem zufrieden mit der Leistung der deutschen Nationalmannschaft?
Für eine Mannschaft, die vor zwei Jahren Weltmeister geworden ist, war sicherlich das Ziel, mindestens das Halbfinale zu erreichen. Leider sind wir dann gegen den Gastgeber ausgeschieden. Dabei braucht man natürlich ein kleines Quäntchen Glück, um gegen die veranstaltende Nation zu gewinnen, wobei hier der Heimvorteil auch das Auschlaggebende sein kann. Bei der deutschen Mannschaft habe ich mich sehr über Jonas Hector gefreut, dass er alle Spiele auf dem Platz stand und Torvorlagen gegeben hat. Er könnte noch ein wenig mehr aus sich herausgehen, weil er noch viel mehr Potenzial hat.
Welche Mannschaft hat Dich am meisten beim diesjährigen Turnier überrascht?
Richtig begeistern konnte man sich für die isländische Nationalmannschaft, jedoch auch die Nordiren und Ungarn. Letztendlich für alle Mannschaften, die Außenseiter waren, aber dennoch über die Gruppenphase hinausgekommen sind. Es ist schon verrückt, dass ein Land, in dem gerade mal 330.000 Menschen leben, so weit in einem Turnier kommt. Da sieht man mal wieviel eine Mannschaft erreichen kann, wenn sie zusammenhält und körperlich stabil ist. Letztendlich machen auch solche Länder und ihre Fans ein Turnier aus, weil die Menschen sich wie Fans präsentiert und ihre Mannschaft unterstützt haben und nicht durch Raketen und derartiges aufgefallen sind. Das möchte im Grunde auch keiner bei einem solchen Turnier sehen.